Jüdischer Film – Jüdische Filmgeschichte(n) – Jüdisches Filmerbe

Forschungskolloquium „Jüdischer Film – Jüdische Filmgeschichte(n) – Jüdisches Filmerbe“

Organizer(s)
Forschungsgruppe „Was ist jüdischer Film?“, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, Potsdam
Funded by
Postdoc-Netzwerk Brandenburg, Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg
ZIP
14482
Location
Potsdam
Country
Germany
Took place
Digital
From - Until
09.01.2023 -
By
Eik Dödtmann, Medienwissenschaft, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf

Zum zweiten Mal fand am 9. Januar 2023 das an Doktorand:innen und Post-Docs im deutschsprachigen Raum gerichtete Forschungskolloquium „Jüdischer Film – Jüdische Filmgeschichte(n) – Jüdisches Filmerbe“ statt. Veranstalter war die Nachwuchsforschungsgruppe „Was ist jüdischer Film?“ an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, gefördert vom Postdoc-Netzwerk Brandenburg und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg.

Die eintägige Veranstaltung diente nicht nur der Vernetzung und dem fachlichen Austausch von Forschenden im Bereich Jüdischer Film, sondern auch der Auslotung neuer Forschungsperspektiven im Feld. Geladen und gekommen waren Referent:innen und Teilnehmer:innen aus den Bereichen Film- und Medienwissenschaft, Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft, Antisemitismusforschung, Jüdische Studien und Gender Studies. Sechs Referent:innen präsentierten ihre aktuellen Forschungsarbeiten in 20-minütigen Vorträgen mit anschließenden Responses und Diskussionen. Lea Wohl von Haselberg, Leiterin der Forschungsgruppe „Was ist jüdischer Film?“, moderierte die Veranstaltung.

Im ersten Panel, „Jüdische Filmkultur – Jüdisches Filmerbe“, stellte LUCY ALEJANDRA PIZAÑA PÉREZ (Potsdam) die Zwischenergebnisse ihres Dissertationsprojektes Jewish Film Festivals: Network nodes and the development of ‚Jewish Film‘ vor. In ihrem Projekt untersucht sie, was jüdische Filmfestivals als ihren Gegenstand verstehen, wie sie diesen darstellen und vermitteln und welche diskursiven Räume dabei entstehen und inwiefern spezifisch jüdische Themen in diesen Diskursen verhandelt werden. Ausgehend vom ersten Jüdischen Filmfestival in San Francisco im Jahr 1980 hat sich weltweit ein Circuit von heute fast 200 aktiven bzw. nicht mehr aktiven jüdischen Filmfestivals entwickelt. Mithilfe einer Programmanalyse von drei Festivals (San Francisco, Berlin/Brandenburg, Mexico City) untersucht Pizaña, wie die jüdischen Filmfestivals Filmen eine „jüdische Vita“ einschreiben und zur Kanonisierung beitragen können. Johannes Bennke wies dazu auf die Schwierigkeit einer diffusen Materiallage hin. In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem die Frage diskutiert, inwieweit sich die Entstehungsprozesse der großen Zahl von jüdischen Filmfestivals in den USA im Vergleich zu deren geringer Zahl in Israel erklären lassen. Als einen Diskussionsansatz schlug Eik Dödtmann dabei vor: Während sich das US-amerikanische Judentum mit seinen vielgestaltigen religiösen Denominationen und divergierenden jüdischen Identitäten – von der Zugehörigkeit zu einer Synagogengemeinschaft, über das rekonstruktivistische Konzept einer Jewish Civilization bis hin zur jüdischen Identifikationspolitik qua Holocaust oder über die Beziehung zum Staat Israel – zum Zentrum der filmkulturellen Auseinandersetzung alles „Jüdischen“ weltweit entwickelt hat, gilt das Konzept eines „jüdischen“ Filmfestivals im sich selbst als jüdischen Staat verstehenden Israel, dessen Kulturbetrieb zu großen Teilen säkular ist, nach wie vor als kulturpolitisch randständig und auf religiöse Sujets begrenzt.

Am Beispiel des Amateurfilms Landsberg - Life in a DP Camp 1946 von Carl Aspler stellte JANINA WURBS (Potsdam) in ihrem Vortrag „Annäherungen an Gebrauchsfilme als jüdisches Kultur- und Filmerbe“ einen neuen Forschungsgegenstand im Bereich Jüdischer Film vor. Die dem Vortrag folgende Diskussion legte dar, dass jüdische Gebrauchsfilme in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges, d.h. Lehr- und Instruktionsfilme sowie Amateuraufnahmen jüdischer Filmemacher:innen, noch weitestgehend unerforscht sind und dass die Materiallage noch unklar ist. Eine weitere interessante Forschungsfrage ist auch, welchen Stellenwert Gebrauchsfilme in der (jüdischen) Filmgeschichtsschreibung generell einnehmen?

Im zweiten Panel, „Jüdische Filmgeschichte(n)“, führte zunächst JOHANNES PRAETORIUS-RHEIN (Potsdam) die ambivalente Verwendung der Begriffe Jüdischer Film und Jüdisches Filmerbe vor Augen. Dabei thematisierte er die Herausforderungen bei der Diskursivierung der Begrifflichkeiten und die Probleme, den kulturellen Wert des untersuchten Materialkorpus zu valorisieren. Begrifflichkeiten wie Jüdischer Film, das zeigt die Debatte auf, führen fast zwangsläufig zu Essentialisierungen und zum Vorwurf der Identitätspolitik. Jüdisches Filmerbe lässt demgegenüber einen potentiell breiteren Deutungsspielraum. Die Abwägungen in der Definition und die Abgrenzung des Forschungskorpus‘ sollen auch dabei helfen, den Aufbau der Datenbank selbigen Namens von Praetorius-Rhein zu ermöglichen.

ELISEBETH JANIK-FREIS (Berlin) stellte danach in ihrem Vortrag „Sex sells: Female migration in “white slavery movies” in interwar Poland and Germany“ Ergebnisse ihrer Untersuchungen im Forschungsbund „Jewish Pimps, Prostitutes and Campaigners in a Transnational German and British Context, 1875-1940“, am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin vor. Anhand filmischer Beispiele, wie den beiden Stummfilmen Der Gelbe Schein (D 1918) und Szlakiem hańby (PL 1929), analysierte sie dabei die Darstellung jüdischer Zuhälter und jüdischer Prostituierter in dem um 1907 entstandenen Genre der „Mädchenhandel“-Filme. In ihrer Response schlug Katja Baumgärtner vor, die „Jewish moments“, also die „jüdischen Momente“, der Filme speziell zu untersuchen sowie sich moralischer Vorverurteilungen zu entziehen und Prostitution auch als Wegöffner und Chance für Frauen zu betrachten. In der anschließenden Diskussion konnte herausgearbeitet werden, inwieweit das Genre der white slave movies Anfang des 20. Jahrhunderts vorherrschende Stereotype über Jüdinnen aus Osteuropa als „besonders sexuell freizügig“ bestärkte und wie sich Jüdisch-Sein als Weiß-Sein markierte.

Im dritten Panel, zur Shoah-Erinnerung und Film/Medien, stellte YARA HASKIEL (London) ihre künstlerische Arbeit zur feministischen Erinnerungsarbeit der Shoah, d.h. der Erinnerung aus weiblicher Perspektive, vor. Ihr Filmprojekt „Precarious Twilight Zones. Die Auslöschung des jüdischen Thessaloniki“ thematisiert sowohl die Zerstörung der jüdischen Geschichte in der griechischen Metropole und deren Erinnerung als auch den problematischen Umgang der griechischen Behörden mit Migrant:innen, die Anfang des 21. Jahrhunderts in der Ägäis den Weg nach Europa suchen. Haskiel wies dabei auf die Intersektionalität der Opfergeschichten hin.

Abschließend stellte KATJA BAUMGÄRTNER (Berlin) ihre Forschung „Gender & digitale Erinnerung(en) an die Schoa – What's actually new?“ vor. Anhand des israelischen Instagram Projektes „Eva Stories“, das die Geschichte der 13-jährigen Eva Heyman aus Ungarn erzählt, die 1944 im deutschen Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden war, zeigte Baumgärtner auf, wie in den neuen Medien die Shoah erzählt werden kann. Dabei wies sie darauf hin, wie kontrovers das Projekt in der Holocaustforschung und in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert wurde bzw. was Eva Stories für die Zukunft der Erinnerungsarbeit bedeuten könnten. Im Plenum wurde anschließend die Frage erörtert, ob und wie das Format von „Eva Stories“ junge Menschen für das Thema wirklich sensibilisieren kann.

Eine Fortsetzung des Forschungskolloquiums „Jüdischer Film – Jüdische Filmgeschichte(n) – Jüdisches Filmerbe“ im Jahr 2024 ist geplant.

Konferenzübersicht:

Panel 1 „Jüdische Filmkultur - Jüdisches Filmerbe“

Lucy Pizaña (Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf): Jewish Film Festivals: Network nodes and the development of ‘Jewish Film’

Response und Moderation: Dr. Johannes Bennke (Hebrew University Jerusalem)

Janina Wurbs (Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf): Annäherungen an Gebrauchsfilme als jüdisches Kultur- und Filmerbe

Response und Moderation: Dr. Eik Dödtmann (Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf)

Panel 2 „Jüdische Filmgeschichte(n)“

[ausgefallen] Tirza Seene (Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf): Antisemitismus und Film

Johannes Praetorius-Rhein (Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf): Über die Begriffe Jüdischer Film und Jüdisches Filmerbe

Dr. Elisabeth Janik-Freis (Zentrum für Antisemitismus-Forschung an der TU Berlin): Sex sells: Female migration in “white slavery movies” in interwar Poland and Germany

Response und Moderation: Dr. Katja Baumgärtner (Center for Advanced Internet Studies)

Panel 3 „Shoah und Film“

[ausgefallen] Dipl.-Päd. Anke Kalkbrenner (Selma Stern ZJS Berlin-Brandenburg): Silence bring us joy either – Zur frühen darstellenden Zeugenschaft im jiddischen Nachkriegsfilm Undzere Kinder (1948)

Yara Haskiel (Goldsmiths University of London): Precarious Twilight Zones. Die Auslöschung des jüdischen Thessaloniki

Response und Moderation: Prof. Angelika Levi (Hochschule für Gestaltung Offenbach)

Dr. Katja Baumgärtner (Center for Advanced Internet Studies): Gender & digitale Erinnerung(en) an die Schoa – What’s actually new?

Response und Moderation: Dr. Lea Wohl von Haselberg (Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf)

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